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Haushaltsrede 2007 ALi/Grüne Waiblingen

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Hesky,

liebe Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Haushaltsreden sind politische Bekenntnisse, keine Lippenbekenntnisse, sondern verbunden mit konstruktiven Vorschlägen, wie die Aufgaben der öffentlichen Hand in einer Stadt erfüllt werden, wie das Leben in einer Kommune für ihre Bewohnerinnen und Bewohner lebenswert gestaltet werden kann.

Dabei dürfen wir jedoch nicht so tun, als ob die Welt sich um uns dreht. In einer Stadt hat man es immer auch mit Konsequenzen zu tun, für die wir nicht selbst verantwortlich gemacht werden können und die sich unserem unmittelbaren Einfluss entziehen. Wir sind eingebunden in einen sozioökonomischen und ökologischen Wandel, und zwar nicht nur in nationaler, sondern auch in globaler Sicht. An drei Beispielen will ich dies veranschaulichen:

Die sich immer weiter öffnende Schere zwischen arm und reich bringt uns auf den Holzweg in die geschlossene Klassengesellschaft. Dies macht eine neue Diskussion nicht nur um Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch um Teilhabegerechtigkeit erforderlich. Wenn uns jedoch die ökonomischen Eliten vormachen, wie man die eigene Haut retten kann - und eben nur die eigene Haut, werden Signale ausgesendet, die für den Wertekonsens einer solidarischen Gesellschaft verheerend sind. Das Ende des Prozesses gegen Josef Ackermann ist ein moralischer Skandal und ein Beispiel für einen von sozialen Regulativen entfesselten Kapitalismus. Wenn jeder nur an sich denkt, ist - so paradox dies auch klingen mag - eben nicht an alle gedacht. Gefühle von Unsicherheit und Machtlosigkeit haben hier guten Nährboden, das Vertrauen in die Demokratie schwindet, damit einher geht eine steigende Politikverdrossenheit.

Die Erde befindet sich im Schwitzkasten: die globale Erwärmung und dadurch verursachte Veränderungen - so bspw. im Dezember Heuschnupfen statt Wintergrippe - lassen sich nicht mehr wegdiskutieren, auch wenn den düsteren Szenarien gegenüber ein gewisser Abstumpfungsprozess zu beobachten ist.

Der demografische Wandel verändert das Gesellschaftsgefüge fundamental und verschärft unsere Verantwortung den nachfolgenden Generationen gegenüber. Wir können eben nichts anschreiben lassen - nach dem Motto: "Mein Enkel wird dies alles eines Tages bezahlen".

In diesen drei Problemfeldern sehen wir den Ausgangspunkt unseres politischen Auftrags. Wir setzen uns ein für die Beteiligung aller am gesellschaftlichen und kommunalen Leben durch Förderung von Bildung, Kultur und Bürgerschaftlichem Engagement; wir bekennen grüne Farbe bei ökologisch relevanten Themen wie Verkehr und Bauen und wir setzen uns ein für Gerechtigkeit zwischen den Generationen durch die Ausdehnung des Zeithorizonts für kommunales Gestalten.

Ganz in diesem Sinne hat sich Waiblingen im Stadtentwicklungsplan, der durch unseren Finanzierungsantrag angeregt wurde, zu einer nachhaltigen Bürgerkommune bekannt. Global denken, lokal handeln, lautet das dazugehörende Credo. Dass aus diesen Glaubenssätzen jedoch keine eindeutigen Handlungsanweisungen hervorgehen, sondern dass weiter politisch für die richtige Umsetzung gerungen werden muss, zeigt die Diskussion um den Nord-Ost-Ring als Fortsetzung der gegen unsere Stimmen beschlossenen und umgesetzten Westumfahrung.

Die Waiblinger Westumfahrung ist eine der wenigen Straßen im Land, die einen Verkehrszuwachs zu verzeichnen hat und damit dem landesweiten Trend zur Verkehrsabnahme entgegensteht. Bei der letzten der alle zwei Jahre durchgeführten Gemarkungsgrenz-Verkehrszählung in Stuttgart ist eine Abnahme beim gesamten PKW- und LKW-Verkehrs um 4,5 % zu beobachten, nachts sogar um 11%; bei den landesweit installierten automatischen Messstationen auf allen Landes-, Bundesstraßen und Autobahnen ist ein Verkehrsrückgang von 0,5% bis 2% zu verzeichnen, und zwar vor allem beim Freizeitverkehr an Sonntagen. Zum einen ist dies eine direkte Folge des gestiegenen Benzinpreises; zum anderen, so analysiert dies Professor Zumwinkl, "ist der Pillenknick auf den Straßen angekommen": Die heute 45-Jährigen sind die aktuell stärksten Jahrgänge, die größte Verkehrsleistung haben jedoch die 18-25-Jährigen "auf der Suche nach dem anderen Geschecht". Mit zunehmendem Alter werden die Menschen gesetzter und die Mobilitätsbedürfnisse gehen zurück.

Angesichts dieser demografischen Fakten muss vielmehr die Forderung nach dem Rückbau des Straßennetzes erhoben werden, nicht zuletzt, weil den immer weniger werdenden Steuerzahlern nicht die Erhaltung eines ständig wachsenden Straßennetzes zugemutet werden kann.

Diese Zahlen passen natürlich denen nicht ins Konzept, die Interesse an einer weiteren Verkehrsverflüssigung haben. Die IHK Stuttgart setzt sich mit den 25.000,- €, die sie dem Regierungspräsidium bereitgestellt hat, um trotz eines Planungsverbots weiter am Nord-Ost-Ring stricken zu können, nicht nur für die Nord-Ost-Umgehung von Stuttgart ein, sondern in haarsträubender Weise auch für eine Umgehung der hierfür zuständigen demokratisch gewählten Instanzen.

Aufgrund dieser verkehrsstatistischen Fakten steht für uns weder der Nord-Ost-Ring noch eine Ostumfahrung von Neustadt und Hohenacker auf der politischen Agenda; wir werden keinen weiteren Planungen für diese neuen Straßen zustimmen und den Haushalt der Stadt Waiblingen durch solche neuen Projekte nicht belasten.

Ein weiterer Prüfstein für das Credo Nachhaltigkeit ist für uns der Flächennutzungsplan. Die Stadt weist durch Verdichten im Innern neue Wohnflächen aus - beispielhaft genannt seien hier das ehemalige Kunstschulareal in der Andräastraße und das einstige SKV-Gelände am Wasen-, was auch unserem politischen Konzept entspricht. Wo bleibt jedoch eine Flächenreduzierung im Flächennutzungsplan? Unsere Fraktion wird deshalb bei neuen Bauprojekte im Außenbereich sehr genau hinschauen, so beispielsweise in Hegnach im Gebiet Hinter der Gasse/Neckarremser Weg. Unseres Erachtens produziert gerade der nahe an der Straße nach Neckarrems liegende 2. Bauabschnitt weitere Rufe nach Verkehrsberuhigung und Ortsumfahrungsstraßen und wird konsequenterweise von uns abgelehnt.

Wider Erwarten, so hörten wir erfreulicherweise vom Stadtpfleger, sind auch in diesem Jahr die Einnahmen gestiegen und haben sich Szenarien mit schnell wachsenden Schuldenbergen nicht erfüllt. Die von den Gewerbe- und Einkommenssteuerzahlern zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel gilt es diszipliniert einzusetzen. Familie, Schulen, Bildung und Kultur haben für uns höchste Priorität. Unser Ja zur Galerie der Stadt Waiblingen steht; die Folgekosten dieses Großprojekts dürfen jedoch nicht zu Lasten der Pflichtaufgaben wie beispielsweise der Schulbausanierung gehen. Ganztagsschulen und die Ausweitung der Betreuungszeiten in den Kindertageseinrichtungen erfordern neue Betreuungskonzepte, mit denen Kinder und Jugendliche nicht nur intellektuell und sozial, sondern auch musisch und sportlich gefördert werden.

Hierin liegen auch Potentiale für das Ehrenamt - Große für Kleine lautet ein Projekt oder "Fit fürs Leben", ein von zwei Waiblinger Hauptschulen und der BürgerINNENstiftung initiiertes Projekt. Die Zusammenarbeit von Schulen und Kindertageseinrichtungen mit Vereinen, mit Musik- und Kunstschule gilt es auszubauen.

Wir machen uns darüberhinaus stark für die 2. Kulturszene, für die ich stellvertretend das Kulturzentrum Schwanen nenne. Die steigenden Besucherzahlen belegen den Erfolg des Konzepts, das auf die Beteiligung vieler setzt. Schulen proben dort ihre Theaterstücke und führen sie auf, die Kunstschule findet einen Ausstellungsort, bürgerschaftlich engagierte Gruppen treffen sich in den Versammlungsräumen. Vor allem junge Leute werden so in das kulturelle Leben integriert und bekommen Geschmack am "Mitmischen" und bürgerschaftlichem Engagement. Gerade dies ist ein Aspekt gelebter Wertorientierung in einer freiheitlichen Demokratie.

Dies führt mich zum Stichwort Ehrenamt. Gestatten sie mir, dass ich ein bisschen Nabelschau betreibe. Als Gemeinderätinnen und -räte sind wir ehrenamtlich tätig. Seit dem Amtswechsel des Oberbürgermeisters haben wir uns mit Ihnen, Herr Hesky, das sei zunächst einmal beobachtend festgestellt, an ein beschleunigtes Arbeitstempo und einen strafferen Sitzungsverlauf gewöhnen müssen. Namentlich in den letzten Sitzungen wurden wir mit einer Fülle von Sitzungsunterlagen überflutet, für die eine Woche Vorbereitungszeit schlicht zu kurz war. Wir sind nicht, wie die Hauptamtlichen in der Stadt Waiblingen, Verwaltungsexperten, sondern wir sind als "Experten des Alltags" eingebunden in unsere familiären und beruflichen Pflichten.

Als Frau wiederum stehe ich in anderen Lebenszusammenhängen als meine männlichen Ratskollegen, die den Gemeinderat als Soziotop jedoch dominieren. Dies ist zunächst einmal als Feststellung, nicht als Vorwurf gemeint. Erlauben Sie mir aber in diesem Zusammenhang dieses kleine persönliche Bekenntnis: So richtig heimisch fühle ich mich auch nach sieben Jahren im Gremium noch nicht. Das mag Temperamentsgründe oder andere mir nicht bewusste Ursachen haben, dass es aber auch Gründe hat, die in der Natur der Geschlechter liegen, lässt mich mein zeitweiliges Unbehagen besser ertragen. Männer, so finde ich bei Dietrich Schwanitz die Erklärung, seien von Natur aus Mitglied der Horde und deshalb für Gremien prädestiniert. In Männerhorden lernten sie, dass Aggression zur Struktur der Gruppe gehöre und nicht etwa persönlich gelte. Frauen dahingegen bevorzugten persönliche Beziehungen und Sympathien an Stelle von Bündnissen, während Männer geradezu Lust am Streiten im öffentlichen Raum hätten. Ein gewisser Unterhaltungswert kann dem ja auch nicht abgestritten werden, vor allem wenn die Auseinandersetzung eine schöne und eindrucksvolle theatralische Form verliehen bekommt. Schwanitz arbeitet in seinem Buch "Männer" die männlichen Profile der Selbstdarstellung in 10 verschiedenen Gremientypen heraus - so bspw. den Theatraliker, den Schlichter, den Betroffenen - sehr zum Nachlesen und Schmunzeln oder auch Ertapptwerden empfohlen.

Als Fazit dieses persönlichen Exkurses lässt sich festhalten: Frauen und Männer haben, um es ressourcen- und nicht defizitorientiert auszudrücken, auch außerhalb von Gremien jeweils noch viel Entwicklungspotential, das es zu wecken gilt. Die Förderung von Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern als politischer Aufgabe und somit die Chancengleichheitsbeauftragte sind für uns aus Waiblingen nicht wegzudenken.

Unser uneingeschränktes Plädoyer gilt auch dem bürgerschaftlichen Engagement, nicht als Lückenbüßer für den Rückzug der Stadt aus ihren vielfältigen sozialen und kulturellen Aufgaben, sondern im Sinne der Stärkung der Selbstorganisationsfähigkeit einer Kommune, der Steigerung der privaten Initiative und der individuellen Verantwortung für das Ganze - der Tafelladen, der Weltladen, das Theater unterm Regenbogen, die Bürgerinteressengemeinschaft Süd seien hier beispielhaft genannt. Der Trend zum projektabhängigen, kurz- und mittelfristigen Engagement an Stelle eines lebenslänglichen Einsatzes wird vom Büro Waiblingen engagiert richtig wahrgenommen und umgesetzt. In diesem Sinne agiert auch die BürgerInnenstiftung und fördert mit Projekten und Aktionen den Einsatz zum Gemeinwohl. Wir sind nicht in der glücklichen Lage wie die Gates-Stiftung, die mal eben 32 Milliarden Dollar (von Warren Buffett) als Zustiftung übertragen bekommen hat. Der Ansatz ist vielmehr der, dass über öffentlichkeitswirksame Projekte die Motivation geweckt wird, sich im Sinne der Stiftungssatzung persönlich und/oder finanziell mit Spenden und Zustiftungen einzusetzen.

An dieser Stelle sei deshalb ein Antrag angesprochen, in dem sich viele unserer hier genannten politischen Positionen widerspiegeln und der gleichzeitig in ein öffentlichkeitswirksames Projekt für die BürgerInnenstiftung übergeführt werden könnte:

Die ALi-Fraktion beantragt eine Planungsrate, um die Einrichtung einer Jugendfarm in Waiblingen zu untersuchen - wir haben uns sonst, das soll angesichts der Haushaltslage betont werden, mit Finanzierungsanträgen zurückgehalten.

In Jugendfarmen kommen Heranwachsende in den direkten Kontakt mit der Natur und dem Kreislauf von Saat und Ernte, lernen den Umgang mit Tieren, halten sich im Freien auf und erleben eine sinnvolle Freizeitgestaltung, erfahren soziales Miteinander und das aufeinander Angewiesensein in der Gruppe. Sie lernen, dass körperlicher Einsatz mehr Spaß macht als Computerspiele und quasi nebenbei, dass Natur und Mitlebewesen schutzbedürftig sind. Groß und Klein könnten direkt Erfahrung mit bürgerschaftlichem Engagement machen, und nicht zuletzt lernten von der Natur entfremdete Stadtkinder von der Pike auf, dass Milch nicht von lila Kühen kommt und Pommes Frites nicht auf Bäumen wachsen. "Die sehen ja aus wie echt" soll ein Kind auf einem Schulbauernhof bei der Kartoffelernte neulich gesagt haben! Solche Aha-Erlebnisse zu vermitteln wäre unseres Erachtens ein wichtiger Bildungsauftrag an die junge Generation, gerade auch im Zusammenhang mit den neuen Ganztagsschulen.

Ich schließe mit diesem Plädoyer für ein nachhaltiges, ökologisches, soziales, bildungs- und engagementfreundliches Waiblingen, nicht ohne den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung für ihren Einsatz in diesem Sinne zu danken und Ihnen allen fürs Zuhören.

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