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Rede zum Haushalts 2003

Rede von Dr. Hanne Schnabel-Henke:

Sehr geehrter Herr Dr. Schmidt-Hieber,

meine sehr geehrten Damen und Herren des Gemeinderates,

Meine Kinder sind treue Kunden in der Stadtbücherei, und beim letzten Besuch haben wir ein Bilderbuch ausgeliehen mit dem Titel:

"Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran, und ewig droht der Baggerzahn
oder Die Veränderung der Stadt"

Wenn ich jetzt in der Schule in meinem Unterricht wäre, so hätte ich natürlich diesen Bildband gezeigt, um das Beschriebene zu dokumentieren. Medieneinsatz ist aber, soviel ich bis jetzt mitbekommen habe, bei Haushaltsreden nicht gefragt, und ich will mit dem Hinweis auf die Schule auch keine Befürchtungen wecken, ich würde sie mit meinen Ausführungen zum Haushalt 2003 belehren wollen. Nebenbei gesagt, stößt man in der Schule mit Belehrungsabsicht und Besserwissermentalität auch eher auf Widerstand. Was ich vielmehr will, ist ihren Blick auf etwas richten und sie dabei durch die Brille sehen lassen, die meine Sicht von Kommunalpolitik färbt - nicht rosa, sondern vielmehr grün-alternativ.

Zurück zum Bildband: Auf 8 großen Bildtafeln wird die Entwicklung eines Wohnviertels der Stadt Zürich aufgezeigt - von den Autoren und Zeichnern über 23 Jahre akribisch recherchiert: Es beginnt im Jahr 1953 - Wohnhäuser mit schmucken Fassaden, überschaubare Straßenzüge, gesäumt mit Bäumen, kleine Plätze, Gassen, ein Kanal sind zu sehen. Mit dem Jahr 1976 (1977 ist das Buch erschienen) endet die Darstellung: Vom ursprünglichen Gesicht des Viertels ist nichts mehr zu erkennen, Straßen und Brücken durchkreuzen das Bild, Hochhäuser ragen auf, Autos, nicht Fußgänger bestimmen das Stadtbild.

Sie können sich denken, wie die Reaktion - nicht nur meiner Kinder - beim Betrachten der Bilder ist: Man fühlt Unbehagen angesichts einer Entwicklung, die sich mit einer gewissen Gesetzmäßigkeit vollzogen zu haben scheint, jedoch ein Ergebnis produziert hat, bei dem man sich fragt: Will ich so gerne leben? Und: Wo enden wir, wenn es so weitergeht?

Ein weiterer Band, der übrigens mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet wurde, trägt den Titel :

Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder 

oder Die Veränderung der Landschaft,

und zeigt ähnliche Entwicklungen, wie sie sich auf einem vormals freien Stück Landschaft ereignet haben.

Mit meinem Rückgriff auf diesen Bildband will ich keine Sehnsucht nach einer guten alten Zeit heraufbeschwören und keiner träumerischen Naturromantik das Wort reden.

Im Zeitraffer wird vielmehr überdeutlich vor Augen geführt, dass unser Gestalten von Umwelt (seien es nun Eingriffe in die freie Natur oder in von Menschenhand bereits Geformtes) zwar in kleinen, scheinbar logischen Entwicklungsschritten vonstatten geht, unter dem Strich jedoch Dinge bewirkt, die so keiner mehr haben will. Ganz augenscheinlich wird dies in besagten Bildband: Menschen, die an Plätzen verweilen, sich überwiegend zu Fuß oder auf den Fahrrad fortbewegen, verschwinden, einladende Wohnhäuser weichen der Dominanz von Hochhäusern, Autos und Straßen. Kindern, so die Autoren in ihrem Vorwort, steht weniger Spielraum zur Verfügung als Autos Parkplatzraum.

Zürich ist nicht Waiblingen, könnte man dagegen halten, und unsere historische Innenstadt ist ja gerade der Beweis dafür, wie sich die Stimmen für die Bewahrung dieses Kleinodes gegen die Baggerzahn- und Presslufthammermentalität durchgesetzt haben.

Dennoch öffnet der Bildband - und deshalb mute ich ihnen diesen Ausflug in die Kinderbuchliteratur zu - Horizonte, die wir alle bei unserer Aufgabe einer menschengerechten Kommunalpolitik vor Augen haben sollten - nichts anderes meint ja das vollmundige "zum Wohle der Stadt".

Mit dem Rückblick in die Vergangenheit können wir im Ausblick auf die Zukunft fragen: Sind wir heute da, wo wir sein wollen? Wo sind wir in zwei bis drei Jahrzehnten, wenn es so weitergeht wie bisher? Und: Wo wollen wir landen?

Wir als Kommunalpolitikerinnen und -politiker tragen maßgeblich zur Entwicklung bei, indem wir Rahmenbedingungen gestalten, in denen sich das Leben der Stadt und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner vollzieht. Unsere Aufgabe ist dabei nicht allein, auf Entwicklungen in der Gesellschaft zu reagieren. Im Vordergrund sollte vielmehr das Bewußtsein stehen: Wir entwerfen Zukunft, indem wir die Voraussetzungen schaffen, innerhalb derer zukünftiges Agieren erst möglich wird. Entscheidend sind deshalb unsere Visionen, die wir für eine menschliche Zukunft haben!

An einem Beispiel veranschaulicht: Der motorisierte Individualverkehr nimmt 1% pro Jahr zu - dies wird geradezu mantrahaft als Argument dafür verwendet, um den Neubau von (Umgehungs-)Straßen zu rechtfertigen. Man darf sich nun nicht vorstellen, dass der Verkehr nur auf den Umgehungsstraßen zunimmt. Auch auf innerstädtischen Straßen, die ja entlastet werden sollen, nimmt der Verkehr auf lange Sicht zu. Ich bezweifle, ob die Entscheidungsträger, die für diese Straßenbauvorhaben stimmen, sich des Problems der externen Effekte bewußt sind: Externe Effekte treten als unbeabsichtigte Nebenfolgen von Handlungen auf, konkret gesprochen: Verkehr soll auf bestimmten Straßen reduziert werden, indem er auf neu zu Bauende verlagert wird. Das ist die beabsichtigte Handlungswirkung, der "interne" Effekt sozusagen. Der externe Effekt dabei ist jedoch, dass dadurch gerade die Voraussetzungen geschaffen werden, dass das Autofahren immer attraktiver wird. Es gibt, und das ist empirisch untersucht, eine durchschnittlich akzeptierte Fahrzeit, um zu ausgewählten Zielen zu kommen. Sinkt nun durch bessere Straßenverbindungen die Fahrzeit, können logischerweise mehr Kilometer gefahren werden. Folglich entsteht unter dem Strich mehr Verkehr.

Mit dem Aufzeigen dieser Zusammenhänge will ich auf die Absurdität hinweisen, dass die überwiegende Mehrheit des Gemeinderats (und meine Hochachtung an dieser Stelle für die Kollegin und die beiden Kollegen, die sich gegen ihre Fraktionen unserer Minderheit angeschlossen haben) lediglich ihre gutgemeinte Absicht im Auge hat - Verkehrsreduktion auf innerstädtischen Straßen, das hätten wir auch gerne - und notorisch die ungewollte Absicht aus dem Gesichtsfeld ausblendet - Verkehrsinduktion auf lange Sicht. Und das angesichts leerer öffentlicher Kassen! In den Bau der Westumfahrung fließen im Jahr 2003 25% unserer Mittel für Baumaßnahmen, die wir für die Gestaltung einer lebenswerten Stadt zur Verfügung haben, das sind 4,6 Mio. €. Und im Gegenzug sollen, so der Vorschlag der Verwaltung, die Gebühren für die Kindergärten erhöht werden, was weniger als 200 000 € in die Kassen bringen würde. Welche Signale werden dadurch für die Zukunft ausgesendet! Welche Prioritäten kommen durch diese Gegenüberstellung zum Ausdruck! Angesichts solcher Entwicklungen fällt mir der sehr zynische Ausspruch des Wiener Theologen Paul Zulehner ein: Man müßte heute das Glück haben, als Auto auf die Welt zu kommen.

Wir sind der Überzeugung, dass in der Waiblinger Kommunalpolitik andere Prioritäten gesetzt und andere Signale für die Zukunft ausgesendet werden müssen. Für uns hat höchste Priorität, dass auch kommende Generationen Anspruch auf Entfaltungsmöglichkeiten haben und wir deshalb sparsamer mit der begrenzten Ressource "Umwelt" umgehen müssen. Aber nicht nur im ökologischen, auch im ökonomischen Bereich gilt es, keine Altlasten in Form von Schuldenbergen zu hinterlassen - dies angesichts von 9 Mio. € Schulden in Waiblingen. Nichts anderes meint der allerseits strapazierte Begriff der Nachhaltigkeit, der mittlerweile zum Lippenbekenntnis zu werden droht. Indem wir anmahnen, die Planungsperspektive weiter in die Zukunft auszudehnen, entlarven wir uns nicht als Blockierer oder Verhinderer von Entwicklung (so der Vorwurf mancher Kollegen unserer Fraktion gegenüber); vielmehr versuchen wir, mit unseren Anträgen demonstrativ andere Schwerpunkte zu setzen. Zunächst: Wir haben uns bewusst zurückgehalten bei der Einreichung von haushaltsbelastenden Anträgen. Ausgabendisziplin ist das Gebot der Stunde. Rechnerisch ist jedoch leicht nachweisbar, dass wenn sowohl unsere Anträge für Einsparungsmaßnahmen als auch die Anträge für Mehrbelastung eine Mehrheit bekommen würden, wir Ausgaben in Millionenhöhe sparen könnten.

Wenn, wie ich oben behauptet habe, die Zukunftsvorstellungen von einer lebenswerten Stadt die Voraussetzung für sinnvolle Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten schaffen, dann ist es notwendig, diese Zukunftsvorstellungen als Entscheidungsgrundlage herauszuarbeiten. Die Idee, hierfür einen Stadtentwicklungsplan zu erstellen, findet unsere volle Unterstützung. Was soll bspw. wann am Remsbogen geschehen, am Alten Postplatz, in der Neustädter Straße, wie sieht die Zukunft der Innenstadt, wie das Verhältnis von Kernstadt und Ortschaften aus. Solche Fragen müssen konzertiert bearbeitet werden, um zu stimmigen Lösungen zu kommen. Da im Haushaltsplan für das Jahr 2003 noch keine Mittel bereitgestellt sind, beantragen wir hierfür eine Planungsrate. Wir sind überzeugt, dass damit eine sinnvolle Zukunftsinvestition getätigt wird.

Der immer wieder gestellte Antrag, den Galgenberg II nicht zu realisieren, zeigt unsere Überzeugung, ökologisch wertvolle Flächen nicht ohne Not zu versiegeln.

Genauso sind wir der Meinung, dass auf die Realisierung der Westumfahrung verzichtet werden kann – dies würde uns im Jahr 2003, abzüglich einer möglichen Vertragsstrafe, Ausgaben in Millionenhöhe ersparen; die ersparten Kosten- und Folgekosten für Straßenunterhaltung in den kommenden Jahren noch nicht eingerechnet.

Des weiteren wären Verschiebungen in den Haushaltsplanansätzen zuungunsten von Schulerhaltungsmaßnahmen und der Stadtbücherei, um nur zwei uns bedeutsame Haushaltsposten zu nennen, nicht notwendig gewesen. Vielmehr wären zusätzliche Mittel vorhanden, um uns beispielsweise konkret um eine Verbesserung der räumlichen Situation der Musikschule Gedanken zu machen - leider greift uns in Sachen Musik, bis jetzt zumindest, noch kein großzügiger Mäzen oder Stifter unter die Arme!

Das "Stiften" von Freiwilligkeitsleistungen, um diesen Faden aufzugreifen, gewinnt angesichts der desolaten Finanzsituation in vielen Bereichen zunehmend an Bedeutung. Ehrenamtlich Engagierte "stiften" Freizeit, Ideen, auch Nerven und tragen maßgeblich zu dem bei, was eine Stadt für ihre Bürgerinnen und Bürger lebenswert macht. Dieses Engagement verdient unsere Unterstützung und Anerkennung.

Der oft angemahnte Verzicht aufs Geldausgeben muß nicht zwingenderweise mit Einbußen an Lebensqualität einhergehen - dieser Gedanke ist mir in diesem Zusammenhang zum Schluss noch wichtig. Auch Konsumforscher bestätigen, dass mit dem Verzicht auf materielle Standards nicht automatisch ein Weniger an Zufriedenheit verbunden ist, ja vielmehr durch ihn erst innere Kräfte zur Entfaltung kommen, die vorher unerkannt schlummerten.

Vielleicht mag diese Erkenntnis auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rathauses, deren Einsatz unter den gegebenen Bedingungen gesteigerter Wertschätzung verdient, als positiver Ausblick dienen.

Waiblingen und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern wünsche ich das jedenfalls für das Haushaltsjahr 2003: Dass Einsparmaßnahmen und Ausgabendisziplin - vorausgesetzt an der rechten Stelle, wofür wir die politischen Weichen stellen wollen - nicht die Lebensqualität in unserer Stadt schmälern, sondern vielmehr Kräfte in uns allen mobilisieren, die uns durch finanziell schwierige Zeiten tragen können.

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